Die Überkreuz-Nierenlebendspende als Chance
Meine Tochter ist seit 20 Jahren nierentransplantiert. 1995 bekam sie die Niere ihres Vaters, die bis 2013 sehr gut gearbeitet hat. Dann wurde das Organ allmählich schlechter, bis unsere Tochter im Januar 2015 schließlich dialysepflichtig wurde. Zum Glück erklärte sich meine Schwägerin zu einer Lebendspende bereit. Wir schöpften Hoffnung, dadurch die sonst bestehende Wartezeit auf ein Spenderorgan von bis zu zehn Jahren auf ein Minimum zu verkürzen. Doch leider hatte unsere Tochter Antikörper gegen das Organ ihrer Tante.
So kam nur eine Crossover-Spende in Betracht. Doch der Versuch, in Deutschland Crossover-Patientin zu werden, scheiterte kläglich: Zwar gibt es an verschiedenen Kliniken Listen mit Spender- und Empfänger-Paaren, deren Werte nicht zusammenpassen – doch es kam zu keiner Vermittlung. So waren wir gezwungen, nach anderen Möglichkeiten Ausschau zu halten. Schließlich meldete ich meine Tochter für eine Crossover-Transplantation in Spanien an, wo sie noch 2015 mit Erfolg transplantiert wurde.
Es gibt viele Patienten, die in einer ähnlichen Situation sind und denen es nicht möglich ist, in ein anderes Land auszuweichen. Wir brauchen dringend eine Gesetzesänderung für die Überkreuz-Lebendspende von Nieren.

Vater Jörg und Tochter Simone Reitmaier und Tante Elke Kuhlmann-Frosch: 1995 spendete der Vater der Tochter eine Niere, die bis Anfang 2015 ihren Dienst tat; die Tante spendete 2015 ihre Niere „überkreuz“. (Bild: privat)
Wie Sie alle wissen, ist die Spendenbereitschaft in Deutschland momentan auf dem Tiefpunkt. Es gibt aber die Möglichkeit Nieren mittels Lebendspende zwischen Spender und Empfänger völlig legal zu tauschen. In Deutschland ist dies wegen des Gesetzes nur in wenigen Fällen umzusetzen, weil § 8 Abs. 1 Satz 2 des Transplantationsgesetzes (TPG) bestimmt, dass lediglich Verwandte ersten und zweiten Grades oder andere Personen, die dem Empfänger in besonderer Verbundenheit nahestehen, tauschen dürfen.
Wir mussten gezwungenermaßen den Umweg über Spanien gehen – dies hat meiner Tochter das Leben gerettet. Crossover bedeutet, dass Lebendorgane „überkreuz“ gespendet werden. Wenn das zunächst vorgesehene Spenderorgan nicht zu dem Patienten passt, wird in Spanien und in anderen EU-Ländern über ein Computersystem ein passendes anderes Spender- und Empfängerpaar mit derselben Problematik gesucht. Die Organe werden dann anonym „überkreuz“ gespendet.
In anderen EU-Ländern ist dieses legale Verfahren üblich. Jene Länder nutzen ein Computerprogramm, das die Vorauswahl der Paare anonym berechnet. In Deutschland wird Crossover nur selten angewendet, weil dies zum einen mit einem erhöhten Arbeitsaufwand und mit erheblichen Kosten verbunden ist. Zudem muss hierzulande die Voraussetzung erfüllt werden, dass eine enge Beziehung zwischen Empfänger und Spender besteht. Das ist bei der Crossover-Transplantation oft schwer umsetzbar.
Eine systematische Datei für die Überkreuzspende könnte helfen die derzeitige Organknappheit in Deutschland zu verringern. Die Patienten, die an diesem Programm teilnehmen würden, bräuchten einen nahestehenden Lebendspender; für Geld sind Organe nicht zu kaufen. Trotzdem profitieren auch die Patienten, die keinen eigenen Lebendspender haben, weil die Organzentrale dann mehr Nierenspenden von Verwandten annehmen könnte – es gäbe mehr Nieren zum Transplantieren. Bei diesem Thema ist Deutschland ein Entwicklungsland, denn in vielen europäischen Ländern wird Crossover mit Erfolg praktiziert.
Wir unterstützen das Ziel, das in § 1 TPG für die staatliche Aufklärung genannt ist: die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern.
Ich habe eine Webseite entwickelt um Menschen zu helfen, die zwar einen Spender haben, der aber aus immunologischen Gründen nicht zu ihnen passt. Hier kommt die Crossover-Spende zum Tragen: Dabei finden sich zwei Spender-Empfänger-Paare zusammen, die ein Organ „über Kreuz“ spenden beziehungsweise empfangen.
Susanne Reitmaier
(Dieser Beitrag erschien in DIATRA 2-2020 – Das Urheberrecht liegt beim Verlag bzw. bei den Autoren)