Neue Initiative für Crossover-Nierenspenden in Deutschland
In Deutschland stammen etwa 30 Prozent aller transplantierten Nieren von einem lebenden Spender. Die Spendernieren gehen an Empfänger, die nahe mit dem Spender verwandt sind. Bereitwillige Spender sind aber oft inkompatibel mit ihren verwandten Patienten. In diesen Fällen sind direkte Transplantationen unmöglich.
Wie funktioniert die Crossover-Nierenspende?
Bei einer sogenannten Crossover-Nierenspende, oder Überkreuz-Nierenspende, können Patienten ihre bereitwilligen, aber inkompatiblen Spender mit den Spendern anderer Patienten in der gleichen Situation „tauschen“.‘ Zum Beispiel könnte dies folgendermaßen ablaufen: Das Organ von Spender A passt nicht zu Empfänger A, dem er es eigentlich spenden will. Aber es passt zu der zunächst fremden Empfängerin B. Deren Spenderin B (die ihrerseits nicht zu Empfängerin B passt) spendet im Gegenzug an Empfänger A. Durch diese Crossover-Spende geben also beide Spender jeweils eine Niere, und ihre inkompatiblen Empfänger bekommen jeweils eine passende Niere.
Solche Crossover-Nierenspenden werden weltweit in vielen Ländern durchgeführt. Dafür betreibt ein Großteil der entwickelten Länder zentral organisierte Nierenspendenprogramme. In solchen Programmen werden die medizinischen Daten der inkompatiblen Spender-Empfänger-Paare gesammelt und ein Computerprogramm rechnet das beste „Matching“ der Paare aus. Dieses Matching kann unterschiedliche Ziele verfolgen, zum Beispiel die entstehenden Kosten für das Gesundheitssystem oder die Anzahl der Organempfänger zu optimieren.
Die Situation in Deutschland
In Deutschland ist es momentan schwierig, passende Paare zu finden, weil es noch keine zentrale Datenbank für die Vorauswahl gibt. Außerdem genügt eine solche Datenbank allein nicht: Es ist unmöglich, in der Datenbank passende Paare per Hand zu finden, weil sehr viele medizinische Daten übereinstimmen müssen. Die wichtigsten sind Blutgruppe, HLA-Antikörper und -Antigene, aber Alter, Körpergewicht und Geschlecht sind auch zu berücksichtigen. Bei der Aufgabe helfen die oben erwähnten Computerprogramme, die die Planung von Crossover-Spenden im Ausland schon vor Jahrzehnten übernommen haben.
Während professionelle Nierenspendeprogramme weltweit auf dem Vormarsch sind und Leben retten, ist in Deutschland davon bisher nichts zu sehen. Grund hierfür sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für Lebendorganspenden, die hierzulande gelten. So ist eine nahe Verwandtschaft oder eine besondere persönliche Verbundenheit zwischen Patient und Spender Voraussetzung für eine Transplantation. Crossover-Nierenspenden, wie oben beschrieben, sind also gesetzlich nur dann erlaubt, falls diese Voraussetzung, die innerhalb der beiden inkompatiblen Spender-Empfänger-Paare selbstverständlich erfüllt ist, auch zwischen den Spendern und Empfängern der transplantierten Nieren nachgewiesen ist.
Es ist jedoch dokumentiert, dass in Deutschland Crossover-Nierenspenden schon stattgefunden haben. In diesen Fällen ist die – schwierig interpretierbare – „besondere persönliche Verbundenheit“ zwischen den Paaren entstanden, nachdem sie einander als potentielles Match vorgestellt wurden.
Neue Initiative
Um einen bisher fast unbefahrenen Weg für inkompatible Spender-Empfänger-Paare zu öffnen, haben wir eine Initiative gegründet, die zum Ziel hat, die Rahmenbedingungen für ein Crossover-Programm zu ermöglichen. Unsere konkreten Ziele, die wir ausschließlich ehrenamtlich verfolgen, sind folgende:
- Eine zentrale Datenbank aufzubauen, in die Spender-Empfänger-Paare ihre medizinischen Daten eintragen können.
- Mithilfe eines Computerprogrammes passende Paare in der Datenbank zu finden.
Die Daten werden anonymisiert und streng vertraulich behandelt. Je mehr Spender-Empfänger-Paare in der Datenbank sind, desto genauer können passende Paare gefunden werden. Wenn der Computer passende Paare findet, werden die Paare miteinander bekannt gemacht, damit sie gegenseitig die vom gegenwärtigen Gesetz geforderte „besondere persönliche Verbundenheit“ im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG aufbauen können (vgl. Bundessozialgericht, BSGE 92, 19). Für die weiteren Untersuchungen müssen beide Paare dann gemeinsam eine Klinik aufsuchen. Nach diesen Untersuchungen entscheiden die zwei Paare und ihre Ärzte gemeinsam, ob sie mit der Crossover-Nierenspende fortfahren möchten.
Das Computerprogramm, das wir benutzen werden, wurde an der Stanford Universität von Professor Dr. Itai Ashlagi entwickelt. Es dient als Grundlage für viele Nierenspendeprogramme im Ausland. Zu unserem Team gehört die Mathematikerin Dr. Ágnes Cseh vom Hasso-Plattner-Institut, Potsdam, die das Computerprogramm aus Stanford für unsere Initiative bereits angepasst hat und bei uns auch das Matching mit dem Computerprogramm durchführen wird. Sie ist Expertin für Paarungsalgorithmen und arbeitet eng mit den Gründern vieler Überkreuzspenderprogramme zusammen, zum Beispiel mit Professor Dr. Alvin Roth (Ökonomie-Nobelpreisträger 2012; US-amerikanisches Programm), Professor Dr. David Manlove (britisches Programm) oder Professor Dr. Tommy Andersson (skandinavisches Programm).
Wie können betroffene Patienten teilnehmen?
Inkompatible Spender-Empfänger-Paare können sich auf unserer Webseite anmelden (s. unten), indem sie die Kontaktdaten und Blutgruppen eintragen: Dort können sie auch ihre Labordaten mit HLA-Typisierung hochladen. Die Übertragung ist verschlüsselt und unsere Webseite ist mit einem professionellen Sicherheitssystem versehen, das ihre Daten schützt. Alle Daten werden selbstverständlich streng vertraulich behandelt.
Wir arbeiten ehrenamtlich und unsere Dienstleistung ist kostenfrei. Falls Sie Interesse an unserer Initiative haben, würden wir uns freuen, wenn Sie mit Ihren Fragen und Anmerkungen persönlich mit uns in Kontakt treten, oder interessierte Bekannte, Patienten oder Kollegen auf unsere Initiative hinweisen.
Kontakt:
www.crossover-nierenspenderliste.de
Susanne Reitmaier
(Dieser Beitrag erschien in DIATRA 2-2020 – Das Urheberrecht liegt beim Verlag bzw. bei den Autoren)