Überkreuz-Lebendnierenspende für zwei Patientinnen mit Zystennieren
(Beitrag aus: DIATRA 4-2021 – Download des Beitrags als PDF)
Dialysepflichtige warten im Schnitt acht bis neun Jahre auf eine postmortale (von einem verstorbenen Menschen) Nierenspende. Ein Zeitraum, in dem viele Menschen auf der Warteliste sterben.
Eine Möglichkeit diesen Zeitraum abzukürzen ist die Lebendnierenspende. Sie ist nicht nur eine die Wartezeit abkürzende Methode, sondern hat für Nierenempfangenden auch den großen Vorteil, eine – in den meisten Fällen – leistungsfähigere und länger funktionierende Niere transplantiert zu bekommen.
Durch das mittlerweile 24 Jahre alte Transplantationsgesetz hat der Gesetzgeber einer solchen Lebendspende Formalien und eine sorgfältige Prüfung vorgeschaltet. Diese bringen in vielen Fällen alle Beteiligten, die Empfangenden, die Spendenden, das medizinische Fachpersonal und die Mitglieder der Lebendspende- beziehungsweise Ethikkommissionen in unangenehme, teils unangemessene Situationen.
In der nun folgenden Schilderung unserer Überkreuzlebendspende (Crossover-Transplantation), die im Oktober 2021 ihren erfolgreichen Abschluss in den beiden Campi der Charité Mitte und Virchow in Berlin fand, erzählen wir von den Hürden, unseren Strapazen und Hoffnungen in den sechs Jahren Dialyse und den fast drei Jahren Vororganisation bis zu diesem Transplantationserfolg.

(v.li.) vorn: Lothar Merk, Maria Merk, Elisabeth Woitzik, Franz Bergen. Dahinter: OA Dr. Lutz Liefeldt, OA Prof. Dr. Robert Öllinger, OÄ PD Dr. Mira Choi, Prof. Dr. Frank Friedersdorff, Prof. Dr. Klemens Budde © Matthias Krüger
Köln: Elisabeth und Franz
Nach vier Jahren Bauchfelldialyse wegen meiner ererbten Zystennieren wünschte ich, Elisabeth, mir eine gesunde Niere. Mein Mann Holger bot mir seine Niere an und nach einem positiven Cross-Match auf zerstörende Antikörper kam er leider nicht infrage. Sofort bot mir mein Freund Franz, den ich seit 50 Jahren kenne, seine Niere an. Diesmal führte das Cross-Match zu einer voraussichtlichen Möglichkeit einer Transplantation. Dazu musste bei mir eine Immunadsorption (= gezielte Entfernung der Autoantikörper) durchgeführt werden, die auf der letzten Stufe wegen zu hoher Titer scheiterte. Durch seine Bereitschaft in einer Überkreuzlebendspende seine Niere auch Maria zu spenden, erhielt ich von deren Ehemann und Spender Lothar die zu meiner Blutgruppe und Gewebe passende Niere.
Bis zur Transplantation hatten Franz und ich einen langen Weg mit vielen, zum jeweils aktuellen Zeitpunkt, scheinbar aussichtslosen Situationen. Im Rückblick betrachtet waren es jedoch gerade diese Situationen, die uns die entscheidenden Anstöße zur Bewältigung unseres weiteren Weges brachten. Darum verzweifelt nie bei Hindernissen. Es gibt fast immer noch eine weitere Chance. Ich hatte das beinahe unmögliche Glück einen zweiten Lebendnierenspender in meinem engen Umfeld zu finden, der mir seine Niere zu schenken bereit war, nachdem mein Mann Holger als Spender wegen Inkompatibilität ausfiel. Franz kannte mein Problem und hatte schon länger über eine Spende an mich nachgedacht. Als er bei einem gemeinsamen Spieleabend vom positiven Cross-Match auf Antikörper mit Holgers Niere erfuhr, bot er mir am selben Abend seine Niere an.
Binnen kürzester Zeit vereinbarte ich die nötigen Termine, um auch mit ihm das Cross-Match zu durchlaufen. Das Ergebnis war trotz Blutgruppenunterschied eine wesentlich höhere Chance, dass mein Körper seine Niere annehmen und nicht abstoßen würde.
Die Sitzung der Ethikkommission, in der er als Nichtverwandter die besondere persönliche Beziehung zu mir darlegte, dauerte für ihn keine zehn Minuten, bis sie ihm die Freigabe für die Spende und die Transplantation erteilte.
Nun konnten die OP-Vorbereitungen beginnen. Doch schon im ersten Schritt, der Immunadsorption, gelang es nicht die Autoantikörper und Immunkomplexe zu entfernen, die zu einer antikörpervermittelten Abstoßung der Spenderniere geführt hätten. Der OP-Termin musste abgesagt werden.
Im Internet recherchierte ich nach einer Information meiner Dialyseschwester nach Überkreuzlebendspenden. Dabei fand ich die Kontaktdaten von Susanne Reitmaier (www.crossover-nierenspenderliste.de) aus Wolfsburg. Am selben Tag habe ich mit ihr telefonischen Kontakt aufgenommen, nachdem ich meine beiden Spender zur Teilnahmebereitschaft befragt hatte. Mit den daraufhin verschickten Daten glich die Mathematikerin von Frau Reitmaier, Dr. Agnes Cseh, unsere Daten mit den Daten aus dem Pool ab. Schon nach zwei Monaten erhielt ich die positive Nachricht, dass ein passendes Paar aus Baden-Württemberg gefunden wurde.
Biberach an der Riß: Lothar und Maria
Meine Ehefrau Maria wusste seit langem, dass sie familiär Zystennieren vererbt bekam, welche sie dann im Juli 2020 zur Dialysetherapie zwangen.
Als Ehemann wurde mir bald klar, dass nur meine Lebendnierenspende den Ausweg aus dieser lebensverkürzenden Dauertherapie bringen kann.
Auf eigene Initiative erkundigten wir uns in der Universitätsklinik Freiburg ausführlich zu diesem Verfahren und bekamen bald einen Termin zum erforderlichen Blut-Cross-Match und zum entsprechenden Aufklärungsgespräch.
Während wir gespannt auf das Ergebnis des Blutlabors warteten, wurde es aber schon erforderlich, dass meine Frau zum Anlegen eines Demers-Hals-Katheters (= Vorhofkatheter) operiert wurde.
Kurz danach erfuhren wir auch, dass durch die Antikörper meiner Ehefrau Maria, eine direkte Lebendnierenspende durch mich wegen zu hoher Abstoßungsgefahr nicht in Frage kam.
Ich erinnerte mich an einen Beitrag in der Fachzeitschrift „DIATRA“, welche ich uns aus der Uniklinik Freiburg mitgenommen hatte. Darin war ein ähnlicher Fall beschrieben, in dem einer jungen Frau durch eine Überkreuzlebendnierenspende geholfen werden konnte.
Dem großartigen Engagement der Mutter dieser Frau, Susanne Reitmaier, die die Organisation CROSSOVER-NIERENSPENDERLISTE gegründet hatte, verdanken wir unseren Rettungsanker. Mit dieser Liste könnte vielen Spender-Empfängerpaaren weitergeholfen werden, bei denen die direkte Organspende aus medizinischen Gründen nicht möglich ist.
Sofort meldeten wir uns bei ihr in Wolfsburg. Schnell bekamen wir von ihr die erhoffte Hilfe.
Unter Einbeziehung von Dr. Agnes Cseh, Expertin für Paarungsalgorithmen, meldeten wir unsere Laborwerte weiter und bekamen innerhalb zweier Wochen ein Paar aus Köln benannt, welches nach Auswertung aller Labordaten genetisch perfekt zu uns passen müsste.
Meine Werte passten zu Elisabeth, die damit zur potentiellen Empfängerin meiner Niere wurde. Die Werte von deren Jugendfreund Franz passten zu den Werten meiner Frau Maria, die damit auch einen potentiellen, neuen Nierenspender hatte.
Unmittelbar vereinbarten wir für nur zwei Wochen später ein Treffen mit dem Spender-/Empfängerpaar aus Köln und Frau Reitmaier.
Elisabeth, Franz, Lothar und Maria
Mit Susanne Reitmaier vereinbarten wir, Elisabeth, Franz, Lothar und Maria ein persönliches Treffen für Ende August 2020 in Wolfsburg, wo wir uns dann näher kennen lernten. Gegenseitige Sympathie veranlasste uns, uns an Dr. Lutz Liefeldt vom Transplantationsbüro der Charité in Berlin zu wenden. Er lud uns zu einem Cross-Match und ersten Informationsgesprächen bereits Ende September ein. Die gute Übereinstimmung wurde bei diesem Termin durch ein zusätzliches HLA- und Epitopmatching mit negativem Kreuztest bestätigt und mündete in der Einladung zu transplantationsvorbereitenden Untersuchungen im Dezember an der Charité in Berlin, welche glücklicherweise gut für uns alle vier ausfielen.
Damals wurde schon von einem OP-Termin zu Beginn des Jahres 2021 gesprochen, welcher aber aus zwei Gründen nicht so schnell zustande kam: Wir alle konnten die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nicht abschätzen, wie sie sich dann entwickelte, und der Termin bei der Lebendspende-Kommission der Landesärztekammer Berlin und Brandenburg stand ebenfalls noch aus.
Nach weiterer Geduldsprobe wurden wir dann für Ende Februar zum letztentscheidenden Termin von der zuständigen Kommission eingeladen, bei dem neben der Freiwilligkeit und dem Fehlen wirtschaftlicher Interessen der Spender die Verbundenheit zwischen Nierenspender und Nierenempfängerin ermittelt werden sollte.
Die Aufregung unseres „Kleeblatts“ stieg direkt vor dem Gespräch, zu dem wir schriftlich für jeweils eine halbe Stunde paarweise eingeladen waren.
Es kam aber so, dass jeder von uns einzeln vor die dreiköpfige Kommission zitiert wurde und jedem bei einem 40-minütigen „Verhör“ alle möglichen und unmöglichen Fragen zu den bisherigen persönlichen Beziehungen unserer beider Spender-Empfängerpaare und besonders zur neuen Empfängerin gestellt wurden.
Mit ungutem Gefühl verließen wir die Landesärztekammer zu Berlin und Brandenburg. Die Begründung der Ethikkommission folgte eine Woche später mit einer Ablehnung unseres Anliegens, da die Voraussetzungen des Transplantationsgesetzes von 1997 von uns nicht erfüllt seien.
Eine letzte Hoffnung gab uns der Schlusssatz des Votums der Kommission, indem die Chance auf einen zweiten Termin nach Jahresfrist benannt wurde.
Unsere betreuendes Ärzteteam unter Professor Dr. Klemens Budde von der Charité war genauso enttäuscht wie wir.
So sammelten wir alle Informationen und Ressourcen, um den Forderungen des § 8 im Transplantationsgesetz (TPG) gerecht zu werden. Wir entwickelten eine positive Energie und meldeten uns nach weiteren Wochenendtreffen bei der Kommission, um unseren Folgetermin bald erhalten zu können.
Unterstützt wurden wir wiederum von Dr. Liefeldt und Professor Budde durch zusätzliche Gespräche und Videokonferenzen.
Ebenso wichtig war das Symposium des Bundesgesundheitsministeriums Ende Juni 2021, an dem Frau Reitmaier als Vorsitzende des Vereins „Crossover-Nierenspenderliste“ teilnahm [Anm. d. Red.: Der Bericht kann unter https://bit.ly/BMG-Bericht heruntergeladen werden] und Prof. Budde an unserem Beispiel klar machte, dass die Forcierung der Überkreuz-Organspenden unseren Nierenempfängerinnen auf direktem Wege hilft und zusätzlich eine Entlastung der Organspenden-Warteliste bringen kann.
Unserer aller Bemühungen führten zu dem Ergebnis, dass wir bereits Anfang Juli erneut zur Lebendspende-Kommission eingeladen wurden. Diesmal wurden alle vier Beteiligten gleichzeitig herein gerufen und nach nur 15 Minuten mit einem positiven Votum von der Kommission wieder verabschiedet.
Der unser Quartett betreuende Arzt der Charité, Dr. Liefeldt, teilte uns daraufhin einen Transplantationstermin für Oktober 2021 mit. Die Transplantation war erfolgreich, unsere Blutwerte verbesserten sich in kurzer Zeit. Dies merkten wir an unserem körperlichen Wohlbefinden, und die Spender konnten bereits nach wenigen Tagen aus der Charité entlassen werden. Die Empfängerinnen blieben noch einige Tage zur Beobachtung in der Charité, da täglich die Blutwerte kontrolliert wurden, um die Medikamente auf diese abzustimmen.
Wir danken allen Beteiligten insbesondere Susanne Reitmaier, Dr. Agnes Cseh, Dr. Lutz Liefeldt und Professor Dr. Klemens Budde sowie unseren Operateuren Professor Dr. Frank Friedersdorff, Professor Dr. Robert Öllinger, Dr. Brigitta Globke und Dr. Robert Peters für Ihren Einsatz für uns und für die Crossover-Lebendnierenspende. Wir wünschen ihnen weiter viel Erfolg bei der Erleichterung dieser Spendenform.
Wir hoffen, dass unsere Kinder und Kindeskinder, die unsere Erbanlagen mitbekommen haben, ebensolche engagierten Helfer finden werden und mit einem verbesserten Transplantationsgesetz verbesserte Überlebenschancen bekommen werden.